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  Beschreibungen

Karl-Heinz Obernier

Die Walcker-Orgel im Hans-Sachs-Haus Gelsenkirchen
aus: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), 06.11.1998

 

Die Walcker-Orgel im Hans-Sachs-Haus Gelsenkirchen

von Karl-Heinz Obernier

Die Konzertorgel im Hans-Sachs-Haus in Gelsenkirchen wurde als Opus 2150 im Jahre 1927 von der Firma E. F. Walcker & Cie, Ludwigsburg, unter der Leitung von Dr. phil. h .c. Oskar Walcker erbaut. Die Orgel gliedert sich mit ihren 85 echten Registern und sieben Transmissionen in ein großes Hauptwerk, drei Schwellwerke - Positiv, Recit expressiv, Solo- und das Pedalwerk. Dieses Instrument läßt sich anhand seiner Disposition und seines Baujahres in die Zeit der Orgelbaureform einordnen, deren Ziel es war, von der einseitig grundtönigen Orgel des auslaufenden 19. Jahrhunderts wegzukommen.

Geschichte machten in diesem Zusammenhang die beiden großen Walcker-Orgeln in der Reinoldi-Kirche in Dortmund und in St. Michaelis in Hamburg (1909 bzw. 1912). Diese beiden Instrumente prägten den Beginn der Orgelbaureform. In den kommenden Jahrzehnten wurden neben zahllosen Kirchenorgeln auch große Saalorgeln im Sinne der Orgelbaureform disponiert, so z.B. die Konzertorgel in der blauen Halle zu Stockholm mit 115 Registern.

Obgleich erst 65 Jahre jung, ist die Walcker-Orgel im Hans-Sachs-Haus denkmalgeschützt und ist somit bereits ein historisches Instrument, da es eines der wenigen noch erhaltenen Zeugnisse einer bedeutsamen Epoche der Orgelbaugeschichte ist.

Im 19. Jahrhundert nämlich hatte die Orgel ihre Rolle als selbständiges Instrument weitgehend eingebüßt und wurde mißverstanden als ein Instrument, das als technisches Wunderwerk imstande war, andere Instrumente nachzuahmen und sie zentral gesteuert wie ein großes Orchester erklingen zu lassen. Erst die in der Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende Bachrenaissance mit ihrer nachhaltigen Wirkung auf die führenden deutschen Komponisten der Romantik und Spätromantik ermöglichte die Neubesinnung auf die Orgel als ein Musikinstrument eigener Identität. Den Höhepunkt dieser Entwicklung markiert die Orgelbaureform. Der kompositorischen Rückbesinnung auf Bach entsprach die Rückbesinnung auf die Orgelbauweise der Barockzeit mit dem strenggegliederten Werkprinzip (jedes Manual bedient ein in sich eigenständiges Orgelwerk) und der klar gegliederten Registerordnung. So vereinigen sich in einer Orgel je nach Größe mehrere eigenständige und doch aufeinander abgestimmte Orgelwerke.

Die Konzeption des Hans-Sachs-Hauses sah von vornherein eine große Konzertorgel vor. Sie ging aus von der Grundidee eines Hauses als Arbeitsstätte für Handel, Gewerbe und Verwaltung mit einem in ihm enthaltenen Saal zur gleichzeitigen Pflege der Künste und der Musik. Versinnbildlicht wurde diese Aufgabenstellung mit der Namensgebung Hans-Sachs-Haus, da sich in der Gestalt von Hans Sachs das Werktätige und Kunstsinnige verbindet. Die Architektur des Hauses, des Saales und der sehr viel Raum in Anspruch nehmenden Orgel waren genau aufeinander abgestimmt. Der Idee dieser Konzeption streng folgend, wurde bewußt auf den sonst üblichen repräsentativen Orgelprospekt verzichtet und das Orgelwerk in seiner natürlichen Bauweise belassen.

Die Anzahl und Auswahl der Register und ihre Verteilung auf die Manuale und das Pedal wurden gemäß der beschriebenen Hans-Sachs-Haus-Philosophie konzipiert. Es entstand eine Orgel mit einem charakterisierenden mächtigen und grundtönigen Klangfundament, bestehend aus Prinzipalen, Flöten und Streichern in 32'-, 16'- und 4'-Lagen, mit den Klangkronen, den sogenannten Einzelaliquoten - Quinten und Terzen in verschiedenen Fußzahlen, Cornette, Mixturen, Cymbeln - und vor allem mit den der Orgel Kraft und Glanz verleihenden Zungenregistern, die das Klangfundament nach oben beträchtlich erweitern. Ganz im Sinne der Orgelbaureform erhielten so die einzelnen Werke dieser Orgel ihren typischen Charakter.

Die 65 Jahre ihrer Geschichte sind an dem einst als Wunderorgel gepriesenen Instrument nicht spurlos vorbeigegangen. Die mittlerweile verschlissene Technik erzwang die Restaurierung. Die alte elektropneumatische Traktur wurde 1982 durch eine dem damaligen Stand der modernen Technik entsprechende elektronische Anlage einschließlich einem modernen Spieltisch mit Setzerkombinationen und Spielhilfen ersetzt. Die alten Taschenladen wichen der zuverlässigeren Technik von Schleifladen. Die Konzertorgel im Hans-Sachs-Haus genießt bei Orgelfreunden und Organisten weltweit großes Ansehen und trägt auf diese Weise zum guten Ton aus Gelsenkirchen bei.

   

 

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