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  Presseberichte
  Gelsenkirchener Zeitung, Donnerstag, 01.09.1927 (Nr.238)

Die Konzertorgel im Musiksaal des Hans-Sachs-Hauses.

Von Dr. Ing. Herbert Briefs, Gelsenkirchen

Wir veröffentlichten bereits vor einigen Tagen einen Aufsatz über das Wunderwerk der neuen Orgel im Konzertsaal des Hans-Sachs-Hauses. Im Zusammenhang damit werden die nachfolgenden Ausführungen von berufener Seite willkommen sein.     D. Red.

Nachdem die Stadt Gelsenkirchen im Hans-Sachs-Haus einen Konzertsaal großen Ausmaßes geschaffen hat, der dem musikalischen Leben unserer Stadt einen würdigen Rahmen geben soll, bestand auch das Bedürfnis nach einer Konzertorgel, die in ihren Größenverhältnissen dem Saal angepaßt war und durch ihren Aufbau und ihre klanglichen Möglichkeiten allen musikalischen Wünschen in vollkommener Weise gerecht zu werden vermochte. Der Bau des Instrumentes wurde der größten deutschen Orgelbauanstalt E.F.Walker&Co., Ludwigsburg, übertragen, aus deren Werkstatt die Orgel als Opus 2150 (!) hervorgeht. Für die Durchberatung aller Einzelfragen zwischen der Erbauerin und den von der Stadt berufenen Sachverständigen stand etwa ein Jahr zur Verfügung. In dem Entwurf sind sowohl die Erkenntnisse und Erfahrungen berücksichtigt, die das Studium klangschöner alter Orgeln der Bachschen und Vor-Bachschen Zeit ergab wie auch alle künstlerisch wertvollen Errungenschaften der neueren Orgelbauzunft.

Die Disposition der Hans-Sachs-Haus-Orgel, d. h. die Auswahl der klingenden Stimmen und ihre Verteilung auf die Manuale und das Pedal, ist nicht aus einem kleinen Entwurf durch allmähliche Vergrößerung entstanden, sondern in dem durch die Verhältnisse gebotenen Umfang von vornherein als einheitliches Ganzes erdacht worden. Der Entwurf geschah nicht allein nach künstlerischen Gesichtspunkten, sondern auch unter wirtschaftlichen Rücksichten, indem jeden Register so vorgesehen wurde, daß es in seiner Wirkung durch kein anderes zu ersetzen ist, und daß im übrigen (bei einer Gesamtpfeifenzahl von 5.800) doch keine Pfeife überflüssig in der Orgel vorhanden sein sollte.

Die Orgel hat 91 Register, die sich auf 4 Manuale und 1 Pedal verteilen. Vom vierten (obersten) Manual wird nicht allein das auf den 16-Fuß-Ton (Unteroktavlage) aufgebaute Bombardemanual gespielt, sondern durch einfache Fußhebelumschaltung auch das Fernwerk: bei dieser Umschaltung verstummt automatisch das Pedal der Hauptorgel und es erklingen die entsprechenden Pedalstimmen im Fernwerk.

Die einzelnen Manuale unterscheiden sich im allgemeinen weniger durch ihre Klangstärke, als gerade durch ihre verschiedene Klangfarbe, wie aus folgender Aufstellung hervorgeht:

I. Manual: Voller, weicher, durchsichtiger Grundklang: die 15 Register dieses Manuals sind zum großen Teil nach dem Vorbild des bedeutendsten, zu Bachs Zeiten lebenden Orgelbauers Gottfried Silbermann (1683-1753) intoniert.

II. Manual: Im Gegensatz zum I. Manual heller Flötentoncharakter, so daß diesem mit 18 Registern besetzten Manual eine ganz besondere Biegsamkeit und Beweglichkeit des Klanges eigen ist.

III. Manual: Leicht streichender Charakter; die Mensuren sind aber nicht so eng gewählt, daß nicht eine vollkommene Verschmelzung des Klanges mit dem der anderen Manuale gewährleistet wäre; es enthält 15 Register.

IV. Manual: In diesem Manual sind vornehmlich diejenigen Stimmen vereinigt, die dem Gesamtklang der Orgel die besondere Majestät verleihen. Es handelt sich hier in erster Linie um die schweren Zungenstimmen (Bombarde, Posaune und Trompete). Durch diese Verteilung behalten die drei übrigen Manuale ihre Klarheit, der Hinzutritt des IV. Manuals aber ergibt für den Gesamtklang eine schwerprächtige Steigerung und den letzten festlichen Glanz. Das Manual ist mit 13 Registern besetzt; unter ihnen befindet sich als Schlagwerk eine Celesta (Stahlplattenklavier), die in modernen Orchesterwerken oft benötigt wird, meist aber fehlt.

Pedal: Das Pedal ist so besetzt, dass es sowohl ein ausreichend kräftiges Tonfundament abgibt, als auch allen Anforderungen der verschiedensten Spielrichtungen gerecht wird, es hat 19 Stimmen.

Fernwerk: Das Fernmanual ist auf einen besonders hellen Charakter abgestimmt und mit neun Registern besetzt.

Gleichzeitig mit der Umschaltung tritt auch das Pedal im Fernwerk in Kraft, welches zwei Register, darunter wiederum eine weich intonierte Zungenstimme enthält.
Zur Winderzeugung für die Orgel dienen drei elektrische Orgelgebläse, von denen zwei auf die Hauptorgel, das dritte auf das Fernwerk wirken.

Um auch die durch ihren mehr kammermusikalischen Aufbau bemerkenswerte, musikalisch meist außerordentlich wertvolle Vor-Bachsche Orgelmusik (Frühbarock), für welche sich in den letzten Jahren ein andauernd steigendes Interesse bemerkbar macht, stilgerecht spielen zu können, sind elf Register der Orgel zum Teil nach den Vorschriften des um 1600 lebenden Musik- und Orgelgelehrten Prätorius, zum Teil nach den entsprechenden alten Registern der Johanniskirche zu Lüneburg gebaut. Die Wiederbelebung dieser alten Stimmen ist erst vor einigen Jahren erfolgt, den Anstoß hierzu gab die von der Firma Walker auf Anregung von Professor Gurlitt für das Freiburger musikwissenschaftliche Institut erbaute Prätorius-Orgel. Wer einmal Gelegenheit gehabt hat, diese alten Register zu hören, wird sich ihrem Klangzauber nicht haben entziehen können und wird sich vielleicht gefragt haben, weshalb der Orgelbau von der Herstellung dieser wundervollen, echt orgelmäßigen Stimmen jemals abgegangen ist. Es hat sich aber gezeigt, daß diese alten Stimmen, die mit den übrigen Registern einer Orgel einwandfrei verschmelzen, sich auch für moderne Orgelmusik (Reger) wegen ihrer ganz typischen Klangfarbe vorzüglich eignen. Es wird hierdurch die Orgel als Solo-Instrument in ihrem Farbreichtum in ungeahnter Weise bereichert. 14 Register, wie oben erwähnt meist dem ersten Manual angehörend, sind nach Gottfried Silbermann, dem bedeutenden Zeitgenossen Bachs und einem der besten Orgelbaukünstler aller Zeiten, intoniert.

Zur besseren dynamischen Beweglichkeit des Klanges sind die Register des zweiten, dritten, vierten Manuals und des Fernwerks in je einem Schwellkasten eingeschlossen, dessen eine Hauptwand durch bewegliche Jalousien gebildet wird, die vom Spieler je nach Wunsch geöffnet oder geschlossen werden können. Die Stimmen des Hauptmanuals (1), sowie die starken Stimmen des Pedals stehen dagegen frei, damit sich ihr Klang ungehindert entfalten kann. Sehr günstig für die Tonentwicklung des Instrumentes im ganzen wird der Umstand sein, daß von vornherein ein sehr geräumiger, als mustergültig hinzustellender Orgelraum geschaffen wurde, welcher so hoch gelegen ist, daß der Klang ungehindert über Chor und Orchester hinwegfließen kann; ferner dass kein Pfeifenprospekt (Tonfresser!) gebaut wird, sondern der Abschluss des Orgelraumes gegen den Saal einfach durch horizontale, feststehende Jalousien von genügend weitem Abstand erfolgt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Konzertorgel des Hans-Sachs-Hauses durch Auswahl, Dimensionierung und Verteilung ihrer klingenden Stimmen
jedem musikalischen Bedürfnis gerecht zu werden in der Lage
ist; die Musik des 17. Jahrhunderts wird auf ihr ebenso stilgerecht vorgetragen werden können wie die Werke der modernen Komponisten.

   
Herbert Briefs war an der Planung der Orgel maßgeblich beteiligt. Der gleichlautende Text findet sich in größeren Zusammenhang in der Festschrift zur Eröffnung des Hans-Sachs-Hauses.

 

 

 

 

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